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"Filtern wie die Bayern" -
Die Filterbänke des Subharchords und der Münchner Hohnerola im Vergleich

Im vorstehenden Kapitel "Mel und die Suche nach dem optimalen Klangfilter" hatte ich nach ersten vorliegenden Kenntnissen geschrieben: "Bei den MEL-Filtern, die Herr Schreiber in sein Subharchord eingebaut hatte, handelt es sich um eine Entwicklung von Herrn Paul Arnold aus den Jahren 1962/63."

Doch ließen sich die ostdeutschen Erfinder des Subharchords hier stark von westdeutscher Technik inspirieren? Die allgemeinhin als interessanteste Komponente des Subharchords betrachtete MEL-Filterbank, die entscheidend zur besonderen Klangfärbung beiträgt, gab es bereits Jahre früher bei der erweiterten "Hohnerola" des Siemens Studios für Elektronische Musik.

Dort realisierte Kompositionen wie das Werk "Wayfaring Sounds" von Herbert Brün aus dem Jahr 1961, mit vokalähnlichen Filterklängen und weiteren charakteristischen Bandpassfilterungen, weisen hinsichtlich des Klangbildes eine frappierende Ähnlichkeit zu späteren Kompositionen auf, die im ostberliner Studio des RFZ (des Rundfunk – und Fernsehtechnischen Zentralamtes) produziert wurden.

Die Hohnerola ist ein Instrument das von der Matthias Hohner AG aus Trossingen, Baden-Württemberg, gebaut wurde. Die im Jahr 1857 gegründete Firma ist als Hersteller von Mundharmonikas, Akkordeons und Elektro-Orgeln bekannt. Die Entwicklung elektronischer Musikinstrumente begann um das Jahr 1954. Die Hohnerola war als früher Typ einer elektronischen Orgel erschienen, erste Konstruktionen waren Kombinationen aus elektronischen Baugruppen und Elektromechanik, d.h. durch ein Gebläse angeregte, elektronisch verstärkte schwingende Rohrblatt-Zungen. Das erste Original-Modell wurde 1955 auf der Frankfurter Musikmesse gezeigt. Ab 1956 wird ein derartiges ursprüngliches Instrument bereits live vom "Orchester Hohnerklang" eingesetzt.

Die Hohnerola des Siemens Studios, München

Bei der auf den obenstehenden Fotos abgebildeten Hohnerola handelt es sich um ein Instrument aus dem Besitz des Siemens Studios für Elektronische Musik, München, das zur Klangerzeugung im Studio speziell umgebaut wurde. Die Honerola bot nicht nur Töne in temperierter Stimmung und neun kombinierbare Register, sondern auch die Möglichkeit der Amplituden-Modulation. Neben der MEL-Filterbank mit vierzehn Einzelfiltern zwischen 200 Hz und 10 kHz wurden ein "Vibrationsgenerator" und eine Relaisschaltung zur Ansteuerung mittels Lochstreifen integriert. Tonfolgen konnten auf Lochstreifen abgespeichert und jederzeit wieder abgerufen werden. Auch die 14 Bandpass-/Formantfilter nach der MEL-Skala konnten durch Lochstreifen (also "programmiert" durch spezielle Codierung) einzeln oder in Kombination zugeschaltet werden.

Auf dem Foto oben links in der Reihe ist ein auf dem Instrument stehender Sägezahngenerator zu sehen (Fotos bitte anklicken zum vergrößern).

Die Hohnerola wird von Fred K. Prieberg in seinem Buch "musica ex machina" erwähnt. In dem 1960 erschienen Referenzwerk zum Verhältnis von Musik und Technik findet sich auf Seite 101 eine Beschreibung, die darüber informiert, wie die Hohnerola als "faszinierende Maschinerie" im Studiozusammenhang eingebunden war. Im grafischen Gesamt-Schaltungsschema des Siemens-Studios war die Hohnerola bescheiden als "Zungen Instrument" in der Abteilung "Ton-Quellen" vermerkt. In einer Inventarliste der Tonstudioeinrichtung von Mai 1959, die vor dem Umzug des Klanglabors von der Außenstelle Gauting nach München erstellt wurde, findet sich das Instrument bereits. Das Klanglabor im Münchner Vorort Gauting, aus dem dann das Siemens Studio hervorging, nahm im Jahr 1956 seine Arbeit auf. Im Jahr 1957 war bereits etliche Studiotechnik im Einsatz, möglicherweise auch schon die Hohnerola mit eingebauter Filterbank, - einer Filterbank, die der des Jahre später konstruierten Subharchords so unüberseh- und hörbar gleicht:

Filterbänke mit identischen Frequenzbereichen

Vergleicht man die Frequenzbereiche der MEL-Filter der Hohnerola und des Subharchord-Exportmodells, dann finden sich folgende Zahlen (zuerst die Hohnerola, in eckigen Klammern die Subharchord-Werte):

01) 200 - 400 [200 - 400]
02) 400 - 625 [400 - 625]
03) 625 - 875 [625 - 875]
04) 875 - 1170 [875 - 1170]
05) 1170 - 1550 [1170 - 1550]
06) 1550 - 1970 [1550 - 1970]
07) 1970 - 2420 [1970 - 2420]
08) 2420 - 2900 [2420 - 2900]
09) 2900 - 3450 [2900 - 3450]
10) 3450 - 4000 [3450 - 4000]
11) 4000 - 5000 [4000 - 5000]
12) 5000 - 6500 [5000 - 6500]
13) 6500 - 8000 [6500 - 8000]
14) 8000 - 10000 [8000 - 10000]

Fazit: die Anzahl der einzelnen Teilfilter und die Werte sind identisch. Das ist kein Zufall und läßt sich nicht nur mit einer naheliegenden technisch-praktischen Interpretation der Gegebenheiten der MEL-Skala begründen. Die ostdeutschen Entwickler im RFZ haben sich bei der Konstruktion des Subharchords von der westdeutschen Siemens-Studio-Hohnerola deutlich inspirieren lassen.

Gerhard Steinke, der ehemalige Leiter des Ostberliner Studios für künstliche Klang- und Geräuscherzeugung im Rundfunk- und Fernsehtechnischen Zentralamt (RFZ) der Deutschen Post, in dem das Subharchord entwickelt wurde, hielt sich anläßlich eines Besuches der Veranstaltung "Musica Viva" bereits im November 1956 in München auf (nachzulesen im ersten Kapitel von "Elektronische Klänge ..."). Möglicherweise hat er in jenen Tagen auch das frühe Klanglabor von Alexander Schaaf in Gauting bei München besucht und hierbei (oder vielleicht bei einem eventuellen späteren Besuch in München) die Hohnerola mit integrierter Filterbank begutachten können? Das Inventar von Alexander Schaafs Studio wurde 1959 nach München transferiert (s.o.), in die Räume des Siemens-Gebäudes am Oskar-von-Miller-Ring, damit war die Basis des Siemens Studios für Elektronische Musik entstanden, des "Studios für elektronische Musik der Siemens & Halske AG".

Nachgewiesen ist eine rege Korrespondenz zwischen dem Studio des RFZ und anderen damals existierenden Studios, die zu einem vielfältigen Austausch von Bandmitschnitten führte. Im Nachlaß des RFZ fanden sich sechs Tonbänder aus dem Münchner Studio. Hatte man sich auch bezüglich technischer Belange ausgetauscht, wie z.B. der MEL-Filterbank, so dass die Gegebenheiten des im Münchner Studios bereits existierenden Instrumentes bei der Konstruktion des Ostberliner Subharchords berücksichtigt werden konnten?

Der Dipl.-Ing. Wolfgang Hoeg, der teilweise als stellvertretender Leiter im Labor des RFZ gearbeitet hatte, gibt dazu in einem Interview Auskunft, das auf dieser Website erstmalig veröffentlicht wurde: die MEL-Filterbank wurde "seinerzeit von J. A. Riedl (München) angeregt" (Zitat). Der hier genannte Josef Anton Riedl begleitete den Aufbau des Siemens-Studios als Musikalischer Berater und in den Folgejahren als Künstlerischer Leiter.

In der Diplomarbeit "Ein optimales Klangfarbenfilter" von Lothar Thomalla (31.8.1969, Sektion Informationstechnik und theoretische Elektrotechnik der Technischen Hochschule Ilmenau) findet sich im Kapitel "Vorhandene Orientierungen" (1.1.) eine deutliche Information, woran sich die ostdeutschen Entwickler orientiert hatten: "Anläßlich einer Studienreise des RFZ nach München wurden die Grenzfrequenzen dieses mel-Filters ausgetauscht".

(Für die Hinweise zur Hohnerola bedankt sich der Autor dieser Website beim prominenten und stets gut informierten Musiker "f.s.".)

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* www.subharchord.de